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Im Wortlaut: John Kirton

Die G20-Gipfel zeigen Wirkung

Lohnt sich der mit den G20-Gipfeltreffen verbundene Aufwand? Prof. John Kirton, der die G20-Forschungsgruppe der Universität Toronto leitet, bejaht diese Frage. Er sagt: "Das Glas der G20 ist mehr als halb voll und es füllt sich immer weiter." Die größten Erfolge habe die G20 bislang bei Stabilität und Zukunftsfähigkeit erzielt.

Flaggen des G20-Gipfels in Brisbane. Die G20-Gipfeldiplomatie zeigt Wirkung - für die internationale Gemeinschaft und die Bürger. Foto: Bundesregierung/Bergmann

Im Vorfeld des 12. Gipfeltreffens der Gruppe der Zwanzig (G20), das am 7. und 8. Juli 2017 in Hamburg stattfindet, werden zunehmend Stimmen unter den Bürgern des Gastlands Deutschland, seiner G20-Partner und darüber hinaus laut, die fragen, ob sich der zeitliche und sonstige Aufwand für solche Veranstaltungen eigentlich lohne. Denn die Vorbereitung und Durchführung eines Gipfeltreffens beansprucht ja viel wertvolle Zeit der einladenden Regierungschefin und ihrer Kollegen, großen Arbeitseinsatz tausender Mitarbeiter, die im Gastland und den Mitgliedsländern das Gipfeltreffen vorbereiten, und finanziellen Aufwand, um am Gipfelort eine sichere, erfolgreiche und transparente Veranstaltung zu gewährleisten.

Journalisten sehen zudem in solchen Gipfeln wenig mehr als "Fototermine", bei denen die Staats- und Regierungschefs den Wählern daheim ihre Bedeutung auf der Weltbühne demonstrieren wollen, oder "Kuschelpartys" für informelle, unverkrampfte Gespräche, die letztlich doch nur in Gemeinplätzen münden. Sogar dann, wenn die Staats- und Regierungschefs gemeinsam klare, verbindliche Verpflichtungen eingehen, fragen sich manche Beobachter, ob sie diese denn einhalten werden, sobald sie aus dem hellen Rampenlicht des Gipfels in die trüben Niederungen der heimischen Politik zurückgekehrt sind.

Solche Zweifel kann man verstehen, sie sind aber weitgehend unbegründet. Beim genauen Blick auf die Ergebnisse der ersten elf G20-Gipfel wird klar, dass diese Wirkung zeigen, und zwar für die Bürger in den Mitgliedsländern wie für die internationale Gemeinschaft insgesamt. Durch diese Art der Gipfeldiplomatie hat die G20 in der Tat große Fortschritte dabei gemacht, ihre ursprüngliche spezifische Doppelmission zu erfüllen, nämlich die Finanzstabilität zu fördern und die Globalisierung so zu gestalten, dass alle davon profitieren können.

Die Gruppe der zwanzig systemisch bedeutenden Länder wurde im Dezember 1999 in Berlin aus der Taufe gehoben, als die Finanzminister und Notenbankchefs der Mitgliedsländer zu einem ersten Treffen zusammenkamen. Das erste Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der G20 fand am 15./16. November 2008 in Washington DC statt. Seitdem haben die Staats- und Regierungschefs insgesamt 22 Tage miteinander verhandelt und amtliche Schlussfolgerungen im Umfang von 140.426 Worten verabschiedet.

Hierunter waren 361 Bekenntnisse zur Förderung der Finanzmarktstabilität und 299 Verpflichtungen, die Globalisierung zu einem Erfolg für alle zu machen. Hinzu kamen 164 Bekenntnisse zur offenen demokratischen Gesellschaft sowie 16 zu den Menschenrechten. Auf dem letztjährigen Gipfel von Hangzhou gab der chinesische Vorsitz gemeinsam mit den Partnern ein öffentliches Bekenntnis zur uneingeschränkten Achtung der Menschenrechte ab. Nur wenige bezweifeln die Notwendigkeit, dass sich die weltweit führenden Politiker für derartige Ziele starkmachen sollten.

Um diese Ziele zu erreichen, haben sie 1.926 genau formulierte zukunftsorientierte verbindliche politische Selbstverpflichtungen abgegeben. In einer Welt, in der Politiker die Gesetze machen und nicht umgekehrt, sind dies überaus wichtige Vereinbarungen. Zudem haben die Staats- und Regierungschefs im Durchschnitt 72 Prozent dieser Verpflichtungen in der Zeit bis zum nächsten Gipfeltreffen auch umgesetzt, und zwar mit steigender Tendenz.

Auf dem halben Weg zwischen den Gipfeln von Hangzhou und Hamburg beträgt die Umsetzungsrate bereits 71 Prozent, und es sind ja noch fünf Monate Zeit für weitere Fortschritte. Gemessen an Wahlkampfversprechen oder Grundsatzerklärungen von Politikern im nationalen Kontext, wie etwa der Rede zur Lage der Nation des US-Präsidenten oder dem in der Thronrede der Königin zum Ausdruck kommenden Regierungsprogramm der britischen Premierministerin/des britischen Premierministers, ist dies keine schlechte Leistung.

Um ihre Beschlüsse umzusetzen und die großen globalen Regelungslücken zu schließen, haben die Staats- und Regierungschefs der G20 ein stetig wachsendes Netzwerk flexibler, kompetenter internationaler Institutionen auf Ministerial-, Beamten- sowie zivilgesellschaftlicher Ebene geschaffen und faktisch themenspezifische "Sekretariate" eingerichtet, beginnend mit dem Rat für Finanzstabilität. Einer immer größeren Zahl multilateraler Organisationen, darunter vor allem der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank, die Welthandelsorganisation, die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und auch das System der Vereinten Nationen, stehen sie unterstützend und beratend zur Seite.

In Bezug auf einige Prioritäten der deutschen Bundesregierung für den Hamburger Gipfel im Rahmen der drei Schwerpunkthemen "Stabilität sichern", "Zukunftsfähigkeit verbessern" und "Verantwortung übernehmen" hat die G20 besonders gute Fortschritte erzielt.

Stabilität sichern

In punkto Stabilität, dem vordringlichen Ziel der Weltwirtschaft, wobei es vor allem um die makroökonomische Politik geht, haben die G20-Gipfel 402 Verpflichtungen abgegeben, die zu 80 Prozent erfüllt wurden. Sechs Monate nach Hangzhou sind die makroökonomischen Zusagen dieses Gipfels zu 83 Prozent eingehalten worden.

Zu Handel und Investitionen haben die G20-Staats- und Regierungschefs 133 Verpflichtungen abgegeben und sie im Durchschnitt zu 63 Prozent eingehalten. Diese Quote ist zwar enttäuschend, liegt aber immer noch durchaus im positiven Bereich (über 50 Prozent). Ferner liegt die Einhaltung der Verpflichtungen von Hangzhou im Bereich Handel und Investitionen sechs Monate nach diesem Gipfeltreffen bei 83%, obwohl sich in einigen wichtigen Mitgliedsländern protektionistisches Gedankengut verbreitet hat. Nach Ausbruch der großen Weltfinanzkrise im September 2008, als das Finanzsystem praktisch zum Erliegen kam, verhinderte die G20 einen gefährlichen Teufelskreis des Protektionismus, wie es ihn in den 1930er Jahren gegeben hatte.

Im Bereich Arbeit und Beschäftigung haben die Staats- und Regierungschefs der G20 100 Zusagen gemacht und sie im Durchschnitt zu 78% erfüllt. Hierdurch trägt die G20 dazu bei, dass Arbeitslose und junge Menschen in Beschäftigung kommen.

In den Bereichen Finanzmärkte und internationale Finanzmarktarchitektur wurden bei den G20-Gipfeln 271 Verpflichtungen zur finanziellen Regulierung und Aufsicht sowie 120 zur Reform der internationalen Finanzinstitutionen (IFIs) abgegeben und jeweils Erfüllungsraten von 75 Prozent beziehungsweise 68 Prozent erreicht.

Die Staats- und Regierungschefs haben somit ihr vordringliches Ziel von 2008, zuerst die Banken in Ordnung zu bringen, erreicht und ihre Verpflichtung von 2009, den erfolgreichen Schwellenländern eine gerechtere Beteiligung an den bereits 1944 gegründeten IFIs zu ermöglichen, erfüllt. Sechs Monate nach Hangzhou liegt ihre Einhaltungsquote im Durchschnitt bei 78 Prozent. Wer Geld von einem Bankkonto abhebt – was während der Finanzkrise 2008 nicht mehr selbstverständlich war – kann ermessen, was die G20 für ihn tut.

In Bezug auf die internationale Steuerzusammenarbeit ist die Zahl der von der G20 übernommenen Verpflichtungen in jüngster Zeit stark gestiegen. Sechs Monate nach Hangzhou liegt die Erfüllungsrate im Schnitt bei 75 Prozent.

Zukunftsfähigkeit verbessern

Im Rahmen des zweiten Hamburger Schwerpunkts der Zukunftsfähigkeit stellt das Thema Klima und Energie das wohl zentrale, wenn nicht gar existenzielle Problem unserer Zeit dar. Zu Klimafragen haben die Staats- und Regierungschefs der G20 53 Verpflichtungen abgegeben, die sie zu 69 Prozent erfüllt haben. Noch besser haben sie beim Thema Energie abgeschnitten – 105 Zusagen haben sie zu 73 Prozent eingehalten.

Sechs Monate nach Hangzhou liegt die Einhaltungsquote beim Klima bei 68 Prozent und bei Energie bei 35 Prozent. Hinter diesen Zahlen verbirgt sich das größte Einhaltungsdefizit der G20 – die fehlende Umsetzung des Versprechens von Pittsburgh vom September 2009, ineffiziente Subventionen für fossile Brennstoffe stufenweise abzuschaffen, und zwar mittelfristig, worunter im Allgemeinen etwa fünf Jahre verstanden werden. Der IWF hat die Kosten dieser Nichteinhaltung auf 5,3 Billionen US-Dollar geschätzt.

Bezüglich der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung haben die G20-Chefs ihre ständige Befassung mit Entwicklungsfragen in 193 Verpflichtungen umgemünzt, die sie jedoch nur zu 66 Prozent erfüllt haben. Sechs Monate nach Hangzhou liegt die entsprechende Quote allerdings schon bei 78Prozent.

Im Hinblick auf die Digitalisierung haben die Staats- und Regierungschefs der G20 49 Verpflichtungen zu Informations- und Kommunikationstechnologien abgegeben, die sie jedoch nur zu 55 Prozent umgesetzt haben. Sechs Monate nach Hangzhou, wo Innovation das wesentliche Schwerpunktthema war, ist die Halbzeit-Einhaltungsquote auf 84 Prozent hochgeschnellt.

Zum Thema Weltgesundheit, das sich erst seit 2014 auf der G20-Agenda findet, wurden 38 Verpflichtungen abgegeben, von denen 77 Prozent erfüllt wurden. Es gibt somit gute Gründe, über die ursprüngliche Befassung mit der Ebola-Epidemie hinaus auch langfristigere Herausforderungen anzugehen. Hierzu zählen die Architektur der Weltgesundheitsorganisationen sowie antimikrobielle Resistenzen, aber auch Verhütung und Eindämmung nicht ansteckender Erkrankungen, denen weltweit die meisten Menschen zum Opfer fallen und die enorme wirtschaftliche Einbußen verursachen.

Zum Thema Stärkung der Frauenrechte hat die G20 lediglich sechs Verpflichtungen abgegeben, die zu 71 Prozent erfüllt wurden. Sechs Monate nach Hangzhou liegt die Umsetzungsrate bei nur 45 Prozent. Im Hinblick auf die Gleichstellung der Geschlechter bleibt den engagierten Staats- und Regierungschefs der G20 in Hamburg also noch einiges zu tun.

Verantwortung übernehmen

In diesem dritten Arbeitsfeld hat die Bewältigung von Vertreibungsursachen erste Priorität. Im Hinblick auf Migration und Flüchtlinge haben die Staats- und Regierungschefs der G20 nur sieben Verpflichtungen abgegeben, sie aber immerhin zu 80 Prozent erfüllt. Sechs Monate nach Hangzhou liegt die Umsetzungsrate bereits bei 73 Prozent. Die führenden G20-Politiker und ihre Bürger haben offenbar verstanden, dass willkommener Zuzug aus dem Ausland auch gut für das wirtschaftliche Wachstum und die soziale Vielfalt in den Aufnahmestaaten sind.

Im Hinblick auf die Partnerschaft mit Afrika haben die G20-Chefs 34 Verpflichtungen in 11 thematischen Bereichen übernommen, davon 16 allein zum Thema Entwicklung. Sie wurden jedoch nur zu 53 Prozent erfüllt – der niedrigste Stand aller thematisierten Bereiche. Da nur einer von den 19 Staats- und Regierungschefs der G20 aus Afrika kommt, wird das Gremium andere Möglichkeiten finden müssen, um auf dem Gipfel 2017 zu einer echten von ihnen gewünschten Partnerschaft zu gelangen.

Zur Terrorismusbekämpfung haben die Staats- und Regierungschefs der G20 16 Verpflichtungen übernommen und diese auch weitgehend erfüllt – zu 87 Prozent. Sechs Monate nach Hangzhou liegt die Umsetzungsrate bereits bei 85 Prozent. Dies sind gute Nachrichten für die Bürger von Berlin, London, Paris, Nizza, Orlando, Ottawa und sämtlicher G20-Länder, die ja fast alle von tödlichen Terroranschlägen betroffen waren.

In punkto Korruptionsbekämpfung – einem Thema, das erst vor Kurzem in den Fokus der G20 geraten ist, – haben die Staats- und Regierungschefs weniger gut abgeschnitten. Ihre 78 Verpflichtungen haben sie nur zu 57 Prozent umgesetzt. Allerdings liegt die Umsetzungsrate sechs Monate nach Hangzhou bereits bei 65 Prozent.

Zu Landwirtschaft und Ernährungssicherung haben die Staats- und Regierungschefs 64 Verpflichtungen abgegeben und sie mit der Durchschnittsquote von 71 Prozent erfüllt.

Folgerungen, Ursachen und Lösungen

Die G20-Gipfel zeigen Wirkung. Mit einer Erfüllungsquote von 71 Prozent kann man feststellen: Das Glas der G20 ist mehr als halb voll und es füllt sich immer weiter. In den Bereichen Stabilität und Zukunftsfähigkeit waren sie am erfolgreichsten, während sie im Bereich Verantwortung, mit Ausnahme der Terrorismusbekämpfung, hinterherhinkten.

Die Welt braucht jedoch eine G20, die in allen Bereichen Fortschritte macht. Deshalb sollten die Bürger fragen, was die Ursachen für diese Bilanz sind und wie die verbleibenden Defizite womöglich auszuräumen wären. Vor allem, auf welche Ursachen und Lösungen die Staats- und Regierungschefs direkten Einfluss haben, welche bereits erfolgreich zur Steigerung der Einhaltung genutzt wurden und womöglich wieder genutzt werden können, wenn man es richtig angeht. Hierbei geht es um einige zentrale Punkte:

Erstens kann jedes Mitglied die anderen im Hinblick auf die Verpflichtungserfüllung anspornen. Man darf nicht darauf warten, dass die mächtigsten Mitglieder stets vorangehen.

Zweitens ist es für ein Land, das ebenfalls Mitglied der kleineren G7 und insbesondere der größeren OECD ist, leichter, seine Verpflichtungen zu erfüllen. Der Hamburger Gipfel sollte folglich Synergien mit dem von Italien ausgerichteten G7-Gipfel in Taormina anstreben, der sechs Wochen vorher, am 26./27. Mai stattgefunden hat. Und die G20 sollte sich in ihrer Arbeit mehr auf die auf analysebasierte und konsensorientierte OECD stützen.

Drittens kann ein Land besser seine Verpflichtungen einhalten, wenn es den Gipfel ausrichtet. Demnach wird die Welt von Deutschland erwarten, während des Hamburger Gipfels und danach eine Führungsrolle in punkto Einhaltung zu übernehmen.

Viertens wirkt es sich bremsend aus, wenn die G20 in einer Verpflichtung Bezug auf die VN nehmen. Folglich sollte die G20 sich eher auf sich selbst besinnen, anstatt die Verantwortung auf die überlasteten und unterfinanzierten VN abzuschieben.

Fünftens verbessert sich die Umsetzung, wenn man ein Thema als gesamtwirtschaftliches behandelt. Folglich sollten die Staats- und Regierungschefs der G20 die Themen Entwicklung, Klimawandel und Migration als Bestandteile und Faktoren des makroökonomischen Wachstums betrachten und sie nicht in Schubladen stecken oder isoliert betrachten. Einbindung statt Ausgrenzung muss hier die Devise lauten.

Sechstens verbessert sich die Einhaltung, wenn sich im Nachgang der Gipfel-Zusage die Fachminister treffen. Folglich sollten Deutschland und Argentinien, das im nächsten Jahr den Gipfel ausrichtet, mehr Ministertreffen initiieren und verstetigen.

Siebtens fördert Wiederholung die Einhaltung, wahrscheinlich weil die Staats- und Regierungschefs der G20 es mit den schwierigsten Problemen der Welt zu tun haben, die man nicht auf einem einzigen Gipfel lösen kann. Also sollten sie dieselbe Verpflichtung mehrfach übernehmen, etwa die zur Abschaffung der Subventionen für fossile Brennstoffe oder die Ablehnung des Protektionismus – bis sie ihre Versprechen, auf die ihre Bürger zählen, schließlich eingehalten haben.

Stand: Frühjahr 2017