Rede von Bundeskanzlerin Merkel bei der G20-Afrika-Partnerschaftskonferenz „In eine gemeinsame Zukunft investieren“ am 12. Juni 2017 in Berlin
Sehr geehrte Herren Präsidenten,
sehr geehrter Herr Premierminister Gentiloni, lieber Paolo,
sehr geehrte Vertreter der internationalen Organisationen, der G20 und der Partnerländer,
liebe Kollegen aus dem deutschen Kabinett, Wolfgang Schäuble und Gerd Müller,
meine Damen und Herren,
Sie haben zum Teil eine sehr lange Anreise auf sich genommen. Ich möchte Sie alle ganz herzlich willkommen heißen zu der Partnerschaftskonferenz mit dem Titel „In eine gemeinsame Zukunft investieren“. Wir wollen mit dieser Konferenz einen Beitrag dazu leisten, dass dies nicht einfach nur Stichworte auf dem Papier sind, sondern dass wir während dieser Konferenz auch wirklich arbeiten und Zusammenarbeit leben wollen.
Unsere wirtschaftlichen Beziehungen bilden ein immer engmaschigeres Netz rund um den Globus. Durch das Internet wissen wir inzwischen viel mehr voneinander, als das früher der Fall war. Kontakte zu knüpfen und Kontakte zu pflegen – das ist kaum mehr eine Frage der Entfernung. In einer solchen Entwicklung stecken natürlich ungeheure Chancen. Das heißt aber auch: Wir müssen eine nachhaltige und inklusive wirtschaftliche Entwicklung für die gesamte Welt hinbekommen. Ein einzelner Staat allein kann da wenig bewirken. Aber Globalisierung ist kein Schicksal, dem wir uns tatenlos fügen müssen. Nein, wir brauchen partnerschaftliche Ansätze.
Mit der Agenda 2030 ist uns etwas Großartiges gelungen, weil sich alle Länder dieser Erde auf einen gemeinsamen Entwicklungspfad verständigt haben. Anders, als es bei den Millenniumsentwicklungszielen der Fall war, mit denen man bestimmte Ziele für die Entwicklungsländer definiert hat, sind diesmal alle Länder – die entwickelten und die Entwicklungsländer – Teil dieser Agenda 2030.
Auf dieser Grundlage haben wir für unsere G20-Präsidentschaft das Motto „Eine vernetzte Welt gestalten“ gewählt. Das G20-Treffen wird in Hamburg stattfinden. Wir haben dafür ein Symbol aus der Seefahrt genommen, nämlich den sogenannten Kreuzknoten. Je stärker die Kräfte an ihm ziehen, umso fester hält dieser Knoten. Er symbolisiert die Vernetzung unserer Länder.
Wir wissen: Wir werden keine gute Entwicklung der Welt haben, wenn nicht alle Kontinente an einer solchen Entwicklung teilhaben. Das bedeutet vor allen Dingen auch, dass der afrikanische Kontinent in den nächsten Jahren auf seinem Entwicklungspfad vorankommen muss. Wir haben schon heute eine beachtliche wirtschaftliche Dynamik in einigen Ländern Afrikas. Zum Teil wird ein deutlich höheres Wachstum als in den Industrie- und Schwellenländern der G20 erreicht. Solche Erfolgsgeschichten sollen auch andere animieren. Sie zeigen, welches Potenzial in afrikanischen Staaten steckt – zum Beispiel auch im Bereich der erneuerbaren Energien oder auch der digitalen Entwicklungen. Es gibt viele gute Beispiele für dezentrale Energieversorgung und vieles andere mehr. Aber es ist eben auch noch sehr viel zu tun.
Wir in den Industriestaaten müssen uns überlegen, ob wir mit der klassischen Entwicklungshilfe immer den richtigen Weg gegangen sind. Ich glaube, das haben wir nicht immer getan. Wir müssen uns stärker auf die jeweilige eigene wirtschaftliche Entwicklung der Länder fokussieren. Daraus ist die Idee entstanden – insbesondere unseres Finanzministers und auch unseres Entwicklungsministers –, zu sagen: Wir brauchen eine Initiative, mit der wir nicht über Afrika, sondern mit Afrika sprechen. Daraus ist die Initiative „Compact with Africa“ entstanden. Die afrikanischen Länder haben mit ihrer Agenda 2063 auch eigene Vorgaben und haben deutlich gemacht, wohin die Entwicklung gehen soll. Insofern heißt es eben nicht Compact for Africa, sondern Compact with Africa. Jedes Land soll in diese Initiative einbringen, was es als Entwicklungsnotwendigkeiten sieht und wie wir seiner Ansicht nach helfen und gemeinsam geeignete Instrumente zur Verfügung stellen können, damit betreffende Entwicklungsprojekte dann auch gelingen. Darüber werden Sie in den nächsten Stunden und Tagen intensiv sprechen.
Wir wollen Sie unterstützen bei der regionalen Integration der Märkte, um auch den Technologie- und Wissenstransfer zu stärken. Wir wollen auch die Handelsströme zwischen Europa und den afrikanischen Ländern so ausrichten, dass diese wirklich zum Vorteil aller sind. Hierbei haben wir noch viel zu tun.
Im November wird der nächste Gipfel der Europäischen Union und der Afrikanischen Union stattfinden. Auch zur Vorbereitung dieses Gipfels dient die heutige Tagung, die wir im Rahmen unserer G20-Präsidentschaft durchführen. Denn wir wissen: Die Ergebnisse, die wir in den letzten Jahren erreicht haben, sind noch nicht ausreichend. In vielen Ländern bleibt die Entwicklung hinter dem Niveau zurück, das angesichts des rasanten Bevölkerungswachstums notwendig wäre. Bis 2050 ist eine Verdopplung der Bevölkerung Afrikas zu erwarten.
Wir wissen auch: Entwicklung ist nur möglich, wenn gleichzeitig Sicherheit gewährleistet ist. Sicherheit ist aber in vielen Teilen Afrikas nicht in ausreichender Weise gewährleistet – aufgrund von fragiler Staatlichkeit, von Konflikten, von Terrorismus oder auch humanitären Krisen. Vielzählige menschliche Tragödien spielen sich auch jetzt zu dieser Stunde ab. Daher steht die Frage der wirtschaftlichen Dynamik in einigen Ländern Afrikas gar nicht ganz oben auf der Tagesordnung, sondern dort hat erst einmal die Frage nach dem täglichen Überleben die größte Priorität.
Das heißt also, es geht in der Partnerschaft mit Afrika auf der einen Seite um wirtschaftliche Entwicklung, auf der anderen Seite auch darum, Frieden, Stabilität und Sicherheit zu fördern – also darum, zunächst die grundlegenden Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass wirtschaftliche Aktivitäten überhaupt erst erfolgen können. Da müssen wir auch neu denken lernen. Denn viele Jahre lang haben sich Entwicklungspolitiker nicht ausreichend mit Sicherheitsfragen beschäftigt. Viele Jahre lang haben wir uns gut gefühlt, wenn wir uns nicht mit militärischer Ausrüstung beschäftigt haben. Aber einige von Ihnen haben mir erklärt: Wir sollen auf der einen Seite gegen Terrorismus kämpfen, auf der anderen Seite bekommen wir aber genau dafür keine Unterstützung.
Ich denke daher, wir müssen uns ehrlich machen und sagen: Nur dort, wo Sicherheit gewährleistet ist, kann überhaupt Entwicklung stattfinden. Ich finde es sehr mutig, dass einige Länder zum Beispiel im Kampf gegen Terrorismus in Mali und in der Nachbarschaft bereit sind, selbst Verantwortung zu übernehmen. In diesem Zusammenhang ersucht Frankreich um ein UN-Mandat im Sicherheitsrat. Ich kann nur sagen: Wir werden sie dabei auch von deutscher Seite unterstützen.
Besondere Aufmerksamkeit – das wird auch in der Agenda 2063 deutlich – müssen wir der Jugend Afrikas widmen. Deutlich mehr als die Hälfte der Menschen ist jünger als 25 Jahre. Ich sage das in Deutschland immer wieder: Unser deutsches Durchschnittsalter beträgt 43 Jahre. Das Durchschnittsalter in Niger, in Mali, in anderen Ländern liegt bei wenig mehr als 15 Jahren. Daran sieht man, welche unterschiedlichen Situationen wir haben. Wenn wir der Jugend keine Perspektive geben, wenn wir nicht in Bildung und Qualifikation investieren, wenn wir gerade auch die Rolle von Mädchen und jungen Frauen nicht stärken, dann wird die Entwicklungsagenda keinen Erfolg haben.
Das heißt also, wir werden im Rahmen unserer G20-Arbeit mit den Compacts with Africa sowie mit speziellen Initiativen zur Bildung von Frauen und zur Förderung des Unternehmertums von Frauen alles daransetzen, die Voraussetzungen dafür zu verbessern, dass Afrika die Entwicklung und Dynamik entfalten kann, die wir brauchen.
Wenn es in Afrika zu viel Hoffnungslosigkeit gibt, dann sagen junge Menschen auch: Wir müssen uns woanders auf der Welt ein neues Leben suchen. Das heißt, indem wir gemeinsam mit Ihnen für Ihre Länder arbeiten, schaffen wir auch mehr Sicherheit für uns und können denen das Handwerk legen, die im Zusammenhang mit Flucht und Vertreibung aus dem Schicksal von Menschen illegal Profit schlagen. Durch illegalen Menschenschmuggel und -handel erleiden viele Flüchtlinge schreckliche Schicksale. Deshalb heißt es: Staaten müssen zusammenarbeiten. Wir müssen die Dinge legalisieren und dürfen nicht erlauben, dass einige mit dem Leid anderer Geld verdienen und davon profitieren.
Meine Damen und Herren, diese Konferenz dient auch dazu – auch deshalb danke für Ihr Kommen –, die Aufmerksamkeit viel stärker auf die Verschiedenheiten Ihrer Länder, auf die Vielfalt der Herausforderungen in Afrika zu lenken. Viele in Deutschland wissen noch nicht so gut über die wunderbaren wie auch über die schwierigen Seiten Ihrer Länder Bescheid, wie wir uns das wünschen würden. „Eine vernetzte Welt gestalten“ – das heißt auch, sich besser kennenzulernen, voneinander zu wissen und auch gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Ich hoffe, dass diese Konferenz einen Beitrag dazu leistet. Deshalb bitte ich Sie alle, die Sie hier teilnehmen: Nehmen Sie kein Blatt vor den Mund; reden Sie Tacheles, wie wir in Deutschland sagen würden. Es nützt nichts, wenn wir nur nette Worte sagen. Wir müssen voneinander lernen. Und wir müssen Resultate erzielen. Dazu dient das hier.
Ihnen allen ein herzliches Willkommen.