Rede von Bundeskanzlerin Merkel bei der Eröffnung des G20-Gesundheitsministertreffens am 19. Mai 2017 in Berlin
Meine Damen und Herren,
sehr geehrter, lieber Hermann Gröhe,
sehr geehrte Kolleginnen und Kolleginnen von Hermann Gröhe aus den G20-Staaten und aus den Partnerstaaten,
sehr geehrte Frau Generaldirektorin, liebe Margaret Chan,
sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der internationalen Organisationen,
auch ich möchte Sie hier sehr herzlich begrüßen. Dies ist, ehrlich gesagt, das einzige Ministertreffen, an dem ich als Bundeskanzlerin teilnehme – vielleicht auch deshalb, weil es das erste der Gesundheitsminister ist. Deshalb möchte ich Sie hier auch von meiner Seite aus sehr herzlich willkommen heißen.
Als Gastgeber des diesjährigen G20-Treffens in der Bundesrepublik Deutschland haben wir Hamburg als Ort für das Treffen der Staats- und Regierungschefs ausgesucht. Passend zur Hafenstadt Hamburg ist das Symbol, das Sie hier überall sehen, ein Symbol aus der Schifffahrt. Das ist ein sogenannter Kreuzknoten, der die Eigenschaft hat, dass er, je mehr man an ihm zieht, desto stärker wird und seine verbindende Wirkung entfaltet. Unser Motto heißt: „Eine vernetzte Welt gestalten.“
Ich möchte zunächst China danken. China war Gastgeberland des vergangenen G20-Treffens. Wir haben schon damals den Grundstein für das heutige Treffen gelegt, indem wir zum ersten Mal das Thema internationale Gesundheit im Kommuniqué der Staats- und Regierungschefs verankert haben.
Ich beginne gleich mit einer Bitte an Argentinien; denn Argentinien wird die nächste G20-Konferenz abhalten. Wir wünschen uns, dass das Thema Gesundheit nicht wieder in Vergessenheit gerät, sondern so aktuell bleibt, wie es ist. Ich finde, dieses Thema hat in einer vernetzten Welt einen Platz auf der Agenda der G20 verdient.
Warum? Es ist eine Frage der Menschlichkeit, dass sich jeder und jede auf ein funktionierendes Gesundheitssystem verlassen kann. Dazu brauchen wir dringend eine bessere Kooperation – natürlich ganz besonders bei Krankheiten, die übertragbar sind. Diese Krankheiten machen nicht vor Ländergrenzen halt. Die weltweit zunehmende Mobilität erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sich solche Krankheiten verbreiten. Besonders aggressive Erreger können eine globale Bedrohung auch der Wirtschaftskreisläufe darstellen. Der Präsident der Weltbank, Kim, weist immer wieder darauf hin: Wenn sich die Spanische Grippe, die es zu Anfang des 20. Jahrhunderts gab – sie war extrem aggressiv und breitete sich mit hoher Geschwindigkeit aus –, heute noch einmal ausbreiten würde, dann wären wir heute wahrscheinlich noch nicht ausreichend darauf vorbereitet.
Angesichts vielfältiger Interdependenzen hat sich die Themenpalette der G20 in den vergangenen Jahren verbreitert. Das ist auch eine logische Folge der Globalisierung. Ohnehin reicht das Bruttoinlandsprodukt allein nicht aus, um inklusives Wachstum zu beschreiben, um das es uns eigentlich gehen muss. Ich denke, dass es eine Frage sowohl der ökonomischen Vernunft als auch der sozialen Vernunft ist, dass wir Herausforderungen, die global sind, auch gemeinsam angehen.
Ausgangspunkt waren die verheerenden Folgen der Ebola-Krise vor wenigen Jahren. Viele haben geholfen. Aber die Hilfe kam spät; sie war langsam, sie war unkoordiniert. Es wäre eigentlich zynisch, aus einem solchen Ereignis keinerlei Lehren zu ziehen. Dann würde man sagen, dass es sich um ein schweres Versagen der Politik handeln würde. Spätestens beim nächsten Ausbruch einer solchen Krankheit würde die Frage lauten: Haben wir genug getan, um dies zu verhindern? – In diesen Tagen haben wir schon wieder von neuen Ebola-Fällen im Kongo gehört.
Deshalb habe ich vor über zwei Jahren im Rahmen der Berliner Wiederauffüllungskonferenz der Impfallianz GAVI die Defizite benannt, die uns die Ebola-Epidemie aufgezeigt hat. Seitdem haben wir gemeinsam vieles auf den Weg gebracht. Es wurden Reformvorschläge unterbreitet – unter anderem von der Hochrangigen Kommission der Vereinten Nationen. Die Maßnahmen, die dieses Panel ausgearbeitet hat, sind Grundlage für einen Bericht an den Generalsekretär der Vereinten Nationen geworden und dann wiederum Grundlage für viele Reformprozesse, die derzeit im Gange sind.
Das betrifft erstens unsere Reaktionsfähigkeit bei Gesundheitskrisen. Wir haben dazu Veränderungen auf der Ebene der Vereinten Nationen initiiert. Die Weltgesundheitsorganisation hat sich darangemacht – ich möchte der Generaldirektorin ein ganz herzliches Dankeschön sagen –, klar gegliederte Notfallstrukturen aufzubauen. Das ist sehr wichtig und zu begrüßen. Das muss jetzt umgesetzt werden, um Handlungsfähigkeit sicherzustellen.
Ich selbst habe die Weltgesundheitsorganisation besucht. Ich weiß, eine Generaldirektorin kann nur so gut sein, wie die Mitgliedstaaten, die sie sozusagen in ihrem Ensemble hat, auch mitarbeiten. Ehrlich gesagt, ist das gar nicht so einfach, denn die einzelnen Regionalorganisationen haben eine sehr hohe Eigenständigkeit. Deshalb möchte ich Margaret Chan ganz herzlich dafür danken, dass sie durch Überzeugungsarbeit dazu beigetragen hat, dass die Verantwortlichkeit zwischen der WHO-Spitze und den Regionalorganisationen stark gewachsen ist und dass heute ein sehr viel besseres Miteinander besteht.
Man muss sich ja auch vorstellen: Wenn in einer Region, zum Beispiel in Liberia und anderen Ländern Afrikas, eine Pandemie auszubrechen droht, dann weiß ja jedes Land, und es sind oft sehr arme Länder, was das für die Reputation der ganzen Region bedeutet. Also gibt es natürlich auf der einen Seite den Impuls, möglichst nicht darüber zu sprechen, weil das ökonomisch schwerwiegendste Folgen haben kann. Auf der anderen Seite weiß man aber, dass die Dinge nicht besser werden, wenn man nicht darüber redet. Ich glaube, das, was jetzt in der WHO geschaffen wurde, nämlich dass es einen koordinierten Ablauf im Krisenfall gibt, wird eine zentrale Rolle spielen. Aber das setzt auch voraus, dass an zentraler Stelle Hilfe zur Verfügung gestellt wird – das heißt: Einsatzkräfte, Material oder Finanzmittel. Im Austausch erwarten wir als Mitgliedstaaten natürlich auch Transparenz und Rechenschaft über das, was mit den Leistungen passiert ist. Das ist sehr wichtig.
Wir brauchen also erstens eine rasche Reaktionsfähigkeit. Wir brauchen zweitens einen koordinierten Ablauf, bei dem die Weltgesundheitsorganisation eine zentrale Rolle spielt. Wir brauchen drittens neue Mechanismen für schnelle finanzielle Hilfen. Da haben wir etwas erreicht: Das ist zum einen der „Contingency Fund for Emergencies“ bei der Weltgesundheitsorganisation, der CFE; und das ist zum anderen die „Pandemic Emergency Financing Facility“, die PEF. Dahinter steht nun wiederum die Weltbank.
Der CFE hat seine Funktionsfähigkeit bereits bewiesen. Zur Bekämpfung lokaler Krankheitsausbrüche konnten schon Mittel eingesetzt werden. Allerdings lässt die finanzielle Ausstattung des Fonds noch etwas zu wünschen übrig. – Gesundheitsminister Hermann Gröhe nickt. Wer sich also im Rahmen auch dieser Tagung davon überzeugen kann, dass noch eine etwas bessere Ausstattung nötig ist, der ist herzlich eingeladen, dazu beizutragen.
Gleiches gilt für die PEF, die in diesem Sommer starten soll. Da gehen wir einen sehr interessanten Weg: Können sich Staaten gegen Epidemie-Risiken versichern? Das heißt, sie müssen dann nicht mehr um Hilfe ersuchen, sondern sie könnten im Fall der Krise auf ihren Versicherungsschutz zurückgreifen und wären nicht in die Rolle eines Bittstellers gedrängt. Nun weiß ich – auch die Weltbank kann davon berichten –, dass sich viele theoretische Fragen auftun: Kann man überhaupt richtig bestimmen, wie hoch das Risiko eines Auftretens einer Pandemie in einem von über 190 Ländern ist; und wie hoch muss der Versicherungsschutz sein? Ich glaube aber, dass es sich lohnt, sich mit solchen Fragen zu beschäftigen, um dann auch wirklich Sicherheiten für betroffene Länder herzustellen.
Aber das Allerbeste ist natürlich, es kommt gar nicht erst zu einem Versicherungsfall. Deshalb brauchen wir – viertens – starke Gesundheitssysteme. Margaret Chan und Hermann Gröhe haben darüber gesprochen. Wir stehen als G20-Staaten in der Verantwortung, sowohl bei uns selbst anzusetzen als auch Unterstützung für diejenigen Länder zu leisten, die aus eigener Kraft ihre Gesundheitssysteme noch nicht verbessern können. Denn es ist ja unser aller Interesse, dass bestimmte Krankheiten gar nicht erst ausbrechen oder wenigstens frühzeitig erkannt werden können.
Deshalb ist die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung so wichtig, die mit einem der 17 Ziele das Recht auf universelle Gesundheitsversorgung benennt. Dies ist wiederum eng mit ökonomischen Fragen verknüpft. Durch das Engagement für starke Gesundheitssysteme entstehen neue Arbeitsplätze und Beschäftigung. Menschen bleiben länger gesund. Sie können im Arbeitsprozess verlässlicher eingesetzt werden. Investitionen in Gesundheitssysteme erweisen sich als Investitionen in Wirtschaftssysteme und verbessern die Perspektiven aller Länder, ganz besonders auch der Schwellen- und Entwicklungsländer.
Um mit Blick auf das Ziel der Agenda 2030 voranzukommen, müssen wir uns möglichst gut abstimmen. Wir sollten uns also in den Grundzügen darüber einig sein, was genau jeweils vor Ort nötig ist, welche Strukturen schon vorhanden sind, die man weiter ausbauen sollte, wie Behandlung und Medikamente für die Bevölkerung bezahlbar bleiben und wie man die Ausbildung des medizinischen Personals besser organisieren kann.
Ich glaube, dass das Rahmenwerk „Healthy systems für universal health coverage“ dafür eine gute Antwort bietet und eine gute Grundlage ist, um ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln, wie wir weiter vorangehen können. Ich möchte allen danken, die mit uns darauf hingearbeitet haben, dass dieses Rahmenwerk Gestalt annimmt. Ich möchte in diesem Zusammenhang – natürlich neben den deutschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – besonders der WHO, der Weltbank und auch Japan ganz herzlich danken. Ich lade alle ein, sich an der internationalen Partnerschaft für universale Gesundheitsversorgung zu beteiligen.
Auf gute Zusammenarbeit von Industrie- und Entwicklungsländern kommt es auch an, wenn es um die Erforschung und Entwicklung neuer Mittel und Methoden zur Vorbeugung, Diagnose und Behandlung von Krankheiten geht. Für medizinischen Fortschritt stehen die Industriestaaten in einer besonderen Verantwortung. Sie haben die Forschungskapazitäten, die ärmeren Ländern fehlen. Dies ist mein fünfter und letzter Punkt.
Seit Anfang des Jahres gibt es die Initiative CEPI. Die Abkürzung steht für „Coalition for Epidemic Preparedness Innovations“. Dabei handelt es sich um eine Koalition aus öffentlichen und privaten Partnern. Daran beteiligt sind einzelne Staaten und die Europäische Union sowie Stiftungen und Unternehmen. Natürlich braucht es Zeit, bis neue Arzneien oder Impfstoffe Verbreitung finden. Der Initiative fehlen auch noch Mittel. Aber ich glaube, wir sind vom Prinzip her auf einem guten Weg. Ich danke allen Beteiligten wirklich von Herzen für den unermüdlichen Einsatz – an dieser Stelle vor allem den Kollegen aus Norwegen und Indien. Alle, die noch über eine Beteiligung nachdenken, ermuntere ich: Machen Sie mit. Jeder Beitrag hilft.
Sie sehen, dass wir dem Spruch folgen: „There is no free lunch in this world.“ Dauernd werden Sie aufgefordert, bei irgendetwas mitzumachen. Aber es ist für einen guten Zweck.
Auf die Erforschung und Entwicklung neuer Wirkstoffe kommt es unter anderem im Kampf gegen antimikrobielle Resistenzen an – der zweite Punkt, der von meinen Vorrednern auch schon erwähnt wurde. Die Entwicklung neuer Antibiotika – Margaret Chan hat das eben sehr eindrücklich dargestellt – ist einerseits ein mühseliges und kostenintensives Unterfangen, aber sie ist auch dringend notwendig. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir uns hierbei eng abstimmen. Wir müssen mehr unternehmen, damit die Mittel, die wir haben, auch in Zukunft wirksam bleiben. Dafür brauchen wir einen verantwortlichen Umgang mit Antibiotika, damit sich Resistenzen nicht noch schneller und stärker als ohnehin schon ausbreiten. Ich setze darauf, dass die Gesundheitsminister uns Staats- und Regierungschefs in ihrem Kommuniqué einen klaren Auftrag geben.
Das Interessante ist, dass das einerseits für die Humanmedizin gilt, aber auch in der Landwirtschaft. Die Vernetzung von Mensch und Tier und Natur ist ganz offensichtlich. Deshalb haben sich bereits zu Beginn des Jahres die Agrarminister der G20-Staaten auf einen Aktionsplan verständigt. Wir finden, dass das ein sehr schöner Erfolg ist. Daran wollen wir weiter anknüpfen. Denn ich glaube, wenn wir bei diesen Themen Fortschritte erzielen, dann fördern wir auch in der Zivilgesellschaft die Akzeptanz des G20-Prozesses, weil die Menschen begreifen, dass es um ihr Leben, um ihre Gesundheit geht.
Ohnehin ist Gesundheit ein ressortübergreifendes Thema. Das spiegelt sich auch in unseren zivilgesellschaftlichen Dialogforen wider. Ich habe bereits aus dem Dialogforum Wissenschaft, in dem die nationalen Akademien unserer Länder zusammenarbeiten, viele hilfreiche Empfehlungen zu Gesundheitsfragen bekommen. Erst gestern hat auch eine Gesundheitsveranstaltung der G20-Wirtschaft stattgefunden.
Meine Damen und Herren, werden wir unserer Verantwortung für globale Gesundheit gerecht? Haben wir also genug getan? Um der Antwort näherzukommen, haben Sie als Gesundheitsminister Ihre eigene Form gefunden. Fast bin ich ein bisschen traurig, dass ich nicht dabei sein kann; denn Sie werden eine Simulation durchführen. Ich bin gespannt auf die Resultate. Ich hoffe, dass wir sie so visualisieren können, dass wir sie dann den Staats- und Regierungschefs präsentieren können, um zu sehen, wo wir stehen und was noch getan werden muss. Die Ergebnisse dieser Simulation werden uns genauso interessieren wie die Ergebnisse Ihrer Diskussion. Deshalb wünsche ich Ihnen, dass Sie einen intensiven Gedankenaustausch haben, dass Sie gute Resultate erzielen und gute Erfahrungen bei den praktischen Übungen machen.
Ich habe gelesen: Wer Lust hat, kann heute Abend noch den Reichstag besichtigen und auf Berlin schauen. Auch das kann ich Ihnen nur empfehlen. Wir sitzen meistens unten und sehen hoch in die Kuppel. Sie können dann wahrscheinlich heute von der Kuppel aus sehen, wo wir unsere Reden halten. Auf jeden Fall: Herzlich willkommen in Berlin, in Deutschland. Alles Gute und einen schönen Aufenthalt.